Wiesen dringend gesucht! |
von Sophie Brüninghaus
Für viele Menschen sind Wiesen etwas Alltägliches, etwas dem oft kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. Doch Wiese ist nicht gleich Wiese und es steckt mehr dahinter, als manch einer zunächst vermutet.
Ohne Zutun des Menschen wären in Deutschland heutzutage fast alle Flächen von Wald bedeckt. Nur auf extremen Standorten, die zum Beispiel großer Trockenheit oder Nässe ausgesetzt sind, bilden sich natürliche Wiesen. Alle anderen Graslandschaften sind Kulturgraslandschaften und werden durch Beweidung oder Mahd offengehalten. Seit Beginn der Ackerwirtschaft werden Wiesen durch den Menschen geschaffen und offengehalten. Sie zählen zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas und das Grünland beheimatet mehr als die Hälfte der in Deutschland vorkommenden Tier- und Pflanzenarten. Doch vor allem artenreiche Wiesen werden immer seltener und sind zum Teil auf der Roten Liste gefährdeter Biotoptypen als „akut von vollständiger Vernichtung bedroht“ gelistet. Diese Rote Liste, die als Ergänzung der Roten Liste der gefährdeten Arten ganze Landschaftsteile miteinbezieht, bewertet die Situation bei den offenen terrestrischen Biotoptypen als besonders kritisch. Durch eine Intensivierung der Landwirtschaft, die oft mit starkem Dünger- und Pestizideinsatz verbunden ist, werden ertragreiche Wiesen gefördert und andere, ertragsärmere, aber dafür artenreiche Wiesen verdrängt. Ein konkretes Beispiel für die Intensivierung der Landwirtschaft ist die sogenannte Silage-Wirtschaft, bei der die Wiesen zwar nicht mit Giften behandelt, aber dafür fünfmal im Jahr gemäht werden. Hier hat kaum eine Pflanze die Chance zur Blüte zu kommen. Das passiert hauptsächlich für die enorme Milchproduktion. Statt den weniger als 2.000 Litern Milch, die eine Kuh in Deutschland noch vor 100 Jahren durchschnittlich gegeben hat, müssen die hochgezüchteten Tiere heute durchschnittlich 10.000-12.000 Liter Milch pro Jahr produzieren. Das geht nur mit sehr eiweißreichem Futter, weshalb die Gräser in ihren jungen Stadien gebraucht und gemäht werden. Auf „unrentablen“ Standorten hingegen wird die landwirtschaftliche Nutzung oft aufgegeben, so dass die Flächen zunehmend verbuschen und Offenlandarten verschwinden. Andere Wiesenstandorte werden aktiv aufgeforstet oder zu Äckern umgewandelt. Auch atmosphärische Stickstoffeinträge sorgen dafür, dass einige wenige konkurrenzstarke Arten Wiesen dominieren und andere Arten verdrängt werden.
Diese Veränderungen haben nicht nur einen Einfluss auf das Landschaftsbild, sondern können gravierende Folgen für die Biodiversität haben. Wiesen beheimaten eine Vielzahl an Tier- und Pflanzenarten, die an das Offenland gebunden sind. Tiere wie der Wiesenpieper, Ameisenbläuling, Wildbienen und Feldhamster verlieren ihre Lebens- und Nahrungsgrundlage, wenn Wiesen und Felder nicht erhalten werden. Aber auch einige Pflanzenarten sind auf die offenen Strukturen angewiesen, sowohl Allerweltsarten wie das Gänseblümchen oder die Wiesen-Margerite, als auch Arten der Roten Liste, unter anderem die Trauben-Trespe (Bromus racemosus), der Weiche Pippau (Crepis mollis) oder der Große Klappertopf (Rhinanthus serotinus) kommen auf unseren Bergischen Wiesen vor.
Ein Beispiel für gefährdete Wiesen ist der Verband Arrhenatherion elatioris mit der Kennart Arrhenatherum elatius, dem Wiesen-Glatthafer. Der Verband umfasst frische Wiesen in tieferen Lagen und ist häufig sehr artenreich. Glatthaferwiesen sind darauf angewiesen, dass sie ein- bis zweimal im Jahr gemäht und höchstens mäßig gedüngt werden. Durch eine späte Mahd können sie sehr blütenreich werden und bieten damit auch blütenbesuchenden und bestäubenden Insekten eine Lebensgrundlage. Außerdem sind Glatthaferwiesen ein Lebensraum für viele weitere Arten, unter anderem verschiedenste Schmetterlinge und Falter, Insekten, Orchideen, Säugetiere wie Feldhase und Reh, Heuschrecken und Wanzen.
Genau wie bei den Wiesen wird auch bei den Weiden verhindert, dass die Fläche mit Bäumen und Sträuchern zuwächst. Im Unterschied zu den Wiesen passiert dies jedoch nicht durch ein- oder mehrmalige Mahd, sondern durch Beweidung. Große Pflanzenfresser wie Rinder oder Schafe beeinflussen durch Fraß, Tritt und ihre Exkretionen die Fläche und halten sie so offen. Bereits seit über 5.000 Jahren wird ein Großteil der Weiden durch domestizierte Weidetiere beweidet, doch durch die Intensivierung der Landwirtschaft geht die extensive Weidewirtschaft immer weiter verloren. Häufig wird statt auf Weide- auf Stallhaltung gesetzt und ehemalige artenreiche Weiden werden zu ertragreichen Grünlandflächen oder Äckern umgebaut oder sich selbst überlassen und verbuschen, womit die Artenzahl spürbar sinkt. Daher wurden auch einige Weiden auf die Rote Liste der Pflanzengesellschaften Deutschlands aufgenommen, zum Beispiel der Wiesenkammgras-Weiderasen (Verband Cynosurion cristati), der im deutschen Tiefland als gefährdet gelistet ist. Auch dieser geht durch die oben genannten Veränderungen immer weiter verloren, und mit ihm zahlreiche Tier- und Pflanzenarten.
Wenn Wiesen und Weiden sich selbst überlassen werden, das heißt kaum Störungen vorhanden sind, stellen sich mit der Zeit erst Sträucher und später Bäume ein, der Offenlandcharakter geht verloren und schließlich wird die artenreiche, offene Fläche von einem artenärmeren Wald ersetzt. Wenn die Störungen jedoch zu groß sind, zum Beispiel zu häufig gemäht und stark gedüngt wird, gehen ebenfalls viele Arten verloren, da sich, wie oben erwähnt, nur wenige konkurrenzstarke Arten behaupten können und andere verdrängt werden. Es ist also wichtig, dass Wiesen und Weiden weiterhin extensiv genutzt werden, um Diversität und das ökologische Gleichgewicht zu erhalten und das Artensterben zu verringern.
Der Verlust unserer Wiesen und Weiden ist häufig weniger präsent als der von Regenwäldern, Savannen und Co. Doch das bedeutet nicht, dass dieser Verlust weniger problematisch ist. Direkt vor unserer Haustür gehen komplette Biotope verloren und mit ihnen zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. In einem Ökosystem ist alles vernetzt, alles hängt direkt oder indirekt voneinander ab. Wenn durch den Verlust von Wiesen und Weiden weniger blühende Pflanzen in der Landschaft vorhanden sind, finden beispielsweise Bestäuber und andere Insekten nicht mehr genügend Nahrung, das Insektensterben wird vorangetrieben. Dadurch wird unter anderem die Bestäubung unserer Nutzpflanzen eingeschränkt, andererseits wird auch die Nahrungskette der Ökosysteme gestört. Vögel, Amphibien und andere Tiere, die sich von Insekten ernähren, werden durch das geringere Nahrungsangebot gefährdet, was wiederum andere Arten und damit auch ganze Ökosysteme beeinträchtigen und destabilisieren kann. Durch den Rückgang der Wiesen und Weiden können also Kettenreaktionen mit weitreichenden Folgen ausgelöst werden, die auf den ersten Blick nicht unbedingt absehbar sind. Abgesehen davon fehlt uns ohne die artenreichen Grasländer ein schöner Teil unserer Landschaft, der unsere Lebensqualität erhöht. Aus all diesen Gründen ist es wichtig, dass wir die Zerstörung wahrnehmen und alles dafür tun, diese Landschaftsformen zu schützen und zu bewahren.