Bergischer Naturschutzverein e.V. − Natur- und Umweltschutz in Ihrer Nachbarschaft

Insektenverluste und deren Auswirkungen

Anerkannter Naturschutzverband nach § 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und nach § 63 Bundesnaturschutzgesetz als Mitglied der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) NRW e.V.

Schmitzbüchel 2, 51491 Overath, Tel: 02204/7977; Fax: 02204/74258

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A

„Dramatische Insektenverluste“ oder ähnlich lauten die Schlagzeilen in der deutschen und internationalen Presse. Über 27 Jahre hatten Mitglieder des entomologischen Vereins Krefeld mit einer von ihnen entwickelten standardisierten Methode die Biomasse der Fluginsekten vor allem in Naturschutzgebieten NRWs gemessen. So konnte zum ersten Mal quantitativ bestimmt werden, wie hoch die Verluste in diesem Zeitraum waren. Biomathematiker der Universität Nimwegen werteten die ermittelten Daten und Daten aus England weiter aus. Um 76 % ging die gewogene Biomasse zurück, in den Sommermonaten sogar um 82 %. Die Ursachen konnten nicht nachgewiesen werden. Klimaerwärmung, Biotopmanagement und -veränderung konnten als ins Gewicht fallende Ursachen von den Forschern ausgeschlossen werden. Die Ursachen müssen in weiteren Forschungen belegt werden.

Auch der Bergische Naturschutzverein beteilgte sich an den Forschungen, vor allem im Wahnbachtal. Mitglieder des Vereins haben an der gesamten Untersuchung mitgearbeitet.

Der Link zur Veröffentlichung:

http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0185809

B

Die Folgen

Hier einige kurze Stichworte dazu:

– Brauchen wir wirklich Insekten?

Insekten stehen im Zentrum von Lebensgemeinschaften, die Pflanzen, Bodenleben, Vögel und andere Tiere, auch Menschen umfassen. Die Insekten leben von Pflanzen und umgekehrt funktioniert Pflanzenleben nicht ohne sie.

Ohne Insekten sind die meisten Vögel, Pflanzen und Kleinsäuger zum Aussterben verurteilt – und wir vielleicht auch.

– Funktionsverlust

In unserer üblichen Sichtweise betrachten wir Tiere, Pflanzen und andere Lebewesen immer vereinfacht als einzelne Arten. Das verstellt uns aber den Blick auf das wirkliche Leben der Natur und hindert uns, die Natur zu verstehen. Ein Beispiel: Alle Pflanzen leben mit Pilzen, Bakterien, Bodenlebewesen, Insekten und anderen Tieren in Lebensgemeinschaften, in denen sie untereinander verbunden und von einander abhängig sind.

Durch das Verschwinden einzelner Arten wird das Zusammenwirken in der Lebensgemeinschaft unmöglich. Die Lebensgemeinschaft zerfällt, ihre Funktion in der Natur erlischt.

Das führt zu sogenannten Kaskadeneffekten, in denen das Erlöschen einer Funktion das erlöschen mehrerer anderer Funktionen nach sich zieht.

Auch wir sind vom Funktionieren möglichst vieler Lebensgemeinschaften in der Natur abhängig, auch wenn wir es nicht unmittelbar sehen können. Sterben die Insekten oder andere Gruppen von Organismen aus, wird am Ende auch der Mensch nicht überleben können.

– Artenvielfalt (Biodiversität)

Alle Lebensgemeinschaften in der Natur erfüllen wichtige Funktionen für die Gesamtheit der Natur und die Grundlagen allen Lebens.

Je mehr Arten es gibt, um so mehr Funktionen kann die Natur erfüllen.

Je weniger Arten es gibt, um so bedrohter sind unsere Lebensgrundlagen.

– Verinselung

In einer naturfeindlichen Umgebung von Intensiv-Land-wirtschaft und Stangenwald-Forsten sind Naturschutzgebiete kleine Inseln, in denen viele Arten geschützt über-leben.

Die Isolation der Arten verhindert genetischen Austausch und lässt ihre genetische Vielfalt verarmen. Damit scheitert die ständige Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen.

Die Arten sind unter diesen Bedingungen langfristig nicht überlebensfähig, selbst wenn keine andern Faktoren sie beeinträchtigen würden.

C     

An diesen Verlusten sind vermutlich viele Faktoren beteiligt. Als unsere Städte im Smog der Industrialisierung versanken, schien uns die Landschaft draußen mit ihrer bäuerlichen Landwirtschaft noch als paradiesischen Natur – das Gegenteil zur Verseuchung unserer Umwelt. Es war aber eine Illusion, dass die Landwirtschaft von den Umwälzungen in den Produktions- und Lebensverhältnissen verschont bleiben würde. Augenfällig für uns sind die Veränderungen, die die heutige Landwirtschaft in unserer Landschaft hervorruft. Landwirtschaft ist nur ein Teil der gesamten Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Alle diese Veränderungen haben einen erheblichen Anteil an strukturellen Vor – oder Nachteilen für die Natur. Die Rahmenbedingungen, unter denen Landwirte, auch Bio-Landwirte, heute wirtschaften, sind von der Gesellschaft gesetzt, von der Politik, vom Handel und von der Industrie. Landwirte erzeugen heute unter diesen Vorgaben mit hoher Fachkenntnis und viel persönlichem Einsatz Lebensmittel in der Qualität und Menge, die die Gesellschaft verlangt. Dennoch oder gerade deswegen kann es kein Fehler sein, zu benennen, wie sich das auf die Natur auswirkt, ohne zu vergessen, dass andere Faktoren, wie Industrie, Energieerzeugung, Verkehr und Zersiedelung möglicherweise größeren Einfluss haben. Im folgenden eine kurze Übersicht in Stichworten, wo die heutige Landwirtschaft sich auf die Artenvielfalt negativ auswirkt. ohne ihren Einfluss auf den gegenwärtigen Artenverlust quantitativ benennen zu können. Manches davon scheint heute unverzichtbar, aber nicht alles. Landwirte sind die Fachleute, die benennen könnten, was kurzfristiger verändert werden könnte. Ohne finanziellen Ausgleich machen Änderungswünsche allerdings keinen Sinn. Auch die heutige Landwirtschaft hat positive Effekte auf die Natur, die nicht außer acht gelassen werden dürfen, z.B.dass die Landwirtschaft einen Hauptanteil an der Offenhaltung unserer Landschaft hat, eine wichtige Voraussetzung für Artenvielfalt.

Zur Entwicklung des Verhältnisses von Natur und Landwirtschaft

-Die heutige Artenvielfalt ist durch die Landwirtschaft entstanden

Der größte Teil unseres Naturraums bestand aus Wäldern, bevor wir Menschen mit Viehzucht und Ackerbau begonnen haben. Damit entstanden viele neue, je nach Untergrund und Feuchtigkeit unterschiedliche Offenland-Lebensräume: Weiden, Äcker, Wiesen, Raine, Steinsammelhaufen, Hecken, Waldränder, Ufersäume usw. Viele, auch viele neue Lebewesen, konnten sich in diesen neu geschaffenen Lebensräumen entfalten, entwickeln und ansiedeln.

– Markt und Landwirtschaft

Es ist noch nicht lange her, dass man bei uns der Überzeugung war, dass die Landwirtschaft keine Industrie ist und mit besonderen Regeln gefördert und geschützt werden muss. Abnahme- und Preis-Garantien ermöglichten den Landwirten ein angemessenes Einkommen ohne Zukunftssorgen. Heute sind sie dem „freien Markt“ ausgesetzt, der ihr Einkommen ohne jede Berücksichtigung ihrer Leistung und der notwendigen Investitionen bestimmt.

Die Folge ist eine „industrialisierte“ Landwirtschaft unter ständigem Druck, mehr zu produzieren und große Summen in Rationalisierung zu investieren, um mit weniger Mitarbeitern  immer mehr zu produzieren.

– Die Natur leidet unter der „modernen“ Landwirtschaft

Einige Beispiele:

– Die vielfache Silage-Mahd, bevor Pflanzen zum Blühen oder Aussamen kommen können, lässt auf allen Wiesen die Blütenpflanzen verschwinden.

– Der Einsatz systemischer Pestizide, die über die ganze Vegetationsdauer in Pflanzen vorhanden sind, führt zur Lebensunfähigkeit und damit mittelbar auch zum Tod nahezu aller Insektenarten.

– Die Umwandlung von vormals naturnahen Wiesen in Intensivgrünland, auf dem nur noch Weidelgrashybriden wachsen, vernichtet einen Großteil unserer Wiesen-pflanzen.

Übermäßiger Einsatz von Düngemitteln aus Tier-Intensivhaltung und von chemischen Düngemitteln führt zu einer Flutung der gesamten Natur und des Wassers mit Stickstoff- und Phosphat-Verbindungen. Bis zu 80 kg Stickstoff pro Hektar allein aus der Luft wurden schon gemessen.

– Flächenzusammenlegung zerstört das kleinteilige Mosaik unterschiedlicher Nutzungen und lässt die Rain- und Rand-Biotope verschwinden.

– Die Folgen „moderner“ Landwirtschaft

– 80 % Rückgang bei Fluginsekten wurden in Naturschutzgebieten gemessen

– 40 % Rückgang bei Vögeln

– 40 % der Pflanzenarten stehen in den Bundesländern auf den Roten Listen der bedrohten Arten, viele gibt es nur noch, weil sie in Naturschutzgebieten mit viel Aufwand am Leben erhalten werden

– noch viel größer ist vermutlich der Verlust bei den Kleinlebewesen im Boden, die entscheidenden Anteil an der Bodenbildung haben, so dass die anderen Lebewesen vom Boden und auf dem Boden leben können.

Die „industrialisierte“ Landwirtschaft macht nicht nur den Bauern das Leben schwer, sie zerstört die Lebensgrundlagen aller Lebewesen, am Ende auch unsere eigenen.

– Bio-Landwirtschaft      

Auch die Bio-Landwirtschaft leidet wie die konventionelle Landwirtschaft unter dem Druck, immer mehr Mengen zu produzieren, zu vergrößern, höhere Leistungen aus Flächen und Tieren herauszuholen, um am Markt überleben zu können.

Sie kann für uns und die Natur, zu der wir gehören, nur wertvoll sein, wenn sie auch naturnah wirtschaftet.

Das heißt, nicht nur

– der Verzicht auf Gifteinsatz und chemische Düngemittel,

sondern auch

– keine Silagewirtschaft, keine Hochleistungstierzucht und -haltung.

– Gibt es einen Ausweg?

Wir können die Natur nicht auf dem Rücken der Landwirte retten.

Das geht nur, wenn wir den Landwirten für naturfreundliches Wirtschaften ein Einkommen garantieren, das besser ist als das Einkommen aus einer naturzerstörenden Landwirtschaft.

Wir alle, unsere Gesellschaft, nicht der Landwirt, tragen die Verantwortung dafür, dass die Natur, unsere Lebensgrundlage zerstört wird.

Den Volltext der Vereinbarung können Sie von der Seite http://www.biostationoberberg.de/modellregion.html

herunterladen.