Bergischer Naturschutzverein e.V. − Natur- und Umweltschutz in Ihrer Nachbarschaft

Natur und Naturschutz heute

Gleichgewicht

In Flora und Fauna ist zu beobachten, dass Natur immer versucht, ein Gleichgewicht im Zusammenwirken der verschiedenen Lebewesen herzustellen. Auch wenn wir im Grunde über das Zusammenwirken der Lebewesen in ökologischen Systemen (Zönosen) noch nicht viel wissen, sind doch solche autonomen Regulierungen bei näherem Hinsehen offensichtlich. Das Auftreten von bestimmten Insekten in großer Masse z.B. löst eine starke Zunahme ihrer Gegenspieler im Ökosystem aus. Bei anderen Beispielen (z.B. Feldmäuse) wird ein Bestand nach starker Vermehrung neben der Begünstigung ihrer Fressfeinde auch durch Nachlassen der Vermehrungsfähigkeit in dichten Populationen reduziert. Es gibt viele solche Regulierungsabläufe und die komplexeren von ihnen sind in der Regel noch gar nicht erforscht.

Aufeinanderfolge

Ein weiterer regelhafter Ablauf, den jeder beobachten kann, ist die natürliche Aufeinanderfolge der Lebensgemeinschaften (Ökosysteme), am einfachsten bei den Pflanzen sichtbar. Schaffen wir irgendwo Rohboden, sehen wir, dass er schnell von Pionier-Flechten, -Moosen und -Pflanzen besiedelt wird, auch von höheren Tieren, deren Lebensraum das Offenland ist. Was wir nicht so gut sehen, ist die gleichzeitige Besiedlung mit Mikro-Fauna, -Flora und Pilzen, die derselben Lebensgemeinschaft angehören. Gemeinsam schaffen sie die Basis für Folge-Lebensgemeinschaften. So löst ein System das andere ab, bis am Ende der Wald mit seiner komplexen Lebenswelt diesen Raum solange besiedelt, bis er Naturereignissen oder Nutzern weicht.

Wanderung

In diesen Zusammenhängen, besonders auch im Zusammenhang mit Veränderungen des Klimas, ist die Zuwanderung von Lebewesen ein unverzichtbarer Bestandteil. So sind ein großer Teil der heute hier vorkommenden Lebewesen nach der Eiszeit und bis heute  immer wieder in unseren Raum zugezogen, der ja keine isolierte Insel ist, sondern so etwas wie ein Zentrum des asiatisch-europäisch-afrikanischen Kontinents, der immer noch  im Vergleich mit anderen Regionen ähnlicher klimatischer Bedingungen eine verarmte nacheiszeitliche Lebenswelt aufweist.

Mensch – Natur

Der Mensch war immer in das geschilderte System der Natur integriert. Viele Lebensräume sind erst durch menschliche Aktivität entstanden, die für viele neue Arten und Lebensgemeinschaften einen Raum geschaffen hat.

Aktuelle Veränderungen des menschlichen Handelns führen aber zu drastischen Einbrüchen in der Biodiversität unserer Natur:

Überdüngung

– Die überdimensionierte Nutzung des Luftstickstoffs als Dünger, der alle Lebensräume überflutet, lässt die Lebewesen, die an den von Natur aus kargen Stickstoffgehalt des Bodens angepasst waren, zu Grunde gehen. Auf jeden Hektar unseres Landes gehen jetzt  jährlich zwischen 25 und 80 kg Stickstoff nieder, unsere Gewässer transportieren Stickstofffluten. An unserer Flora kann man das gut erkennen, die gravierenden Auswirkungen im Bereich der Mikrolebewesen, die zu mehr oder minder „toten“ Böden führen, fallen uns nicht ins Auge.

Betrachtet man die Ursachen für ihr Auftreten, ist es absolut sinnlos, die Stickstoffreunde unter den Pflanzen zu bekämpfen. Man schafft damit keinen stickstoffreduzierten Raum, sondern beseitigt die Pflanzen, die noch in der Lage sind, Stickstoff aus Boden und Wasser herauszufiltern.

Vernichtung

– Der Einsatz hochwirksamer Pestizide führt heute in kürzester Zeit zu Rückgängen in der Artenvielfalt der Lebewesen (Biodiversität) von bis zu 80 % mit der Tendenz, viele Arten zum Erlöschen zu bringen. Aber alle diese Arten haben eine Funktion in den Lebensgemeinschaften (Ökosystemen). In der Folge werden viele Ökosysteme zusammenbrechen und die Folgen davon sind auch für uns Menschen noch nicht absehbar. Unüberlegt und mit unzureichendem Wissen zerstören wir nicht nur die Natur, sondern auch unsere eigenen Lebensgrundlagen.

Naturschutz

In den wenigen Bereichen, die durch Unterschutzstellung aus der intensiven Nutzung herausgenommen werden, greifen Naturschützer ein, um bedrohten Arten und Lebenssystemen einen kleinen Raum zum Überleben zu schaffen. Früher schuf die Landwirtschaft die Offenlandschaft. Heute tut sie das auch, aber in einer Art und Weise, die  für viele Arten und ihre Lebensgemeinschaften tödlich ist.

Eine Hauptaufgabe des Naturschutzes war es immer und bleibt es, den „Landschaftsverbrauch“ aufzuhalten. Heute ist es aber leider damit nicht mehr getan, denn der „Naturverbrauch“ durch die Landwirtschaft hat größte Dimensionen angenommen.

Naturschützern, die noch einiges erhalten wollen, bleibt nichts anderes übrig, als die frühere Bewirtschaftung aufwendig nachzuahmen. Es wird gemäht und beweidet, um den überall niedergehenden Stickstoff wieder zu entziehen. Die Sukzession wird aufgehalten, um ein Biotop in einem bestimmten für bedrohte Arten notwendigen Zustand zu erhalten (z.B. Magerwiese, Trockenrasen usw.), d.h. es werden alle aufkommenden Gehölze und Hochstauden entfernt, ob sie nun vor langer oder noch nicht so langer Zeit zugewandert sind. Für manche Arten ist es auch notwendig immer wieder Rohböden zu schaffen.

Das alles macht aber nur Sinn in Gebieten und auf Flächen, die der zerstörerischen Stickstoff- und Pestizid-Flut entzogen werden können. Wenn man z.B. das Ufer eines stickstoffüberfrachteten Wasserlaufs von Springkraut rodet, schafft man nur Platz für andere Stickstoffzehrer, wie Brennnessel oder Brombeere.  Die Arten früherer stickstoffarmer Epochen wird man nicht zurückholen, es sei denn, es gelänge, den Zufluss von Stickstoff aus der Landwirtschaftsfläche zu verhindern. Das würde die Stickstoffzehrer allerdings auch ohne Eingriff reduzieren.

Zur aktuellen Diskussion

Nun zum Thema Gewässer am Beispiel der Sülz. Auch die Gewässer sind Ökosysteme mit umfassenden Zusammenhängen, in denen die Kleinstlebewesen eine überragende Rolle spielen. Durch Verbauungen, Stauungen, Flussbettbefestigungen und Einleitungen wurden unsere Flüsse drastisch verändert und biologisch verarmt. Die Sülz ist in unserem Kreisgebiet der Fluss mit der noch intaktesten Lebenswelt, obwohl es der einzige Fluss ist, der nicht unter Naturschutz steht. An vielen Stellen ist er verbaut, Stauwerke führen zu tiefen sauerstoffarmen Schlammansammlungen. Der Fischbestand ist am leichtesten zu erkennen, die Mikrowelt des Flusses sieht man nicht ohne weiteres. Es gibt noch Äschen-Bestände, nur hier gibt es selbstständige Vermehrung von Lachsen, der Fischbestand ist noch artenreich mit vielen Kleinfischen. Wenn der Aggerverband die vielen detaillierten Pläne zur Renaturierung des Flusses auch umsetzen würde, könnte er in einen hervorragenden Zustand kommen, weil an einigen Stellen noch gute Lebenselemente existieren, die auch auf eine relativ intakte Mikrowelt schließen lassen. Wichtig wäre aber die Bewirtschaftung der Talwiesen zu extensivieren und den Ackerbau, der keinen großen Umfang einnimmt, vollständig aus dem Tal zu nehmen. Würde man auch noch das Aussetzen von jungen Raubfischen in großer Zahl verhindern, käme es zu einem ausgewogenen Ökosystem, in dem auch Reiher und Kormoran in der Anzahl existieren würden, wie es der Fischbestand zulässt, den sie im Gleichgewicht halten würden. Es könnte am Ende ein Fluss werden, der wirklich FFH-würdig wäre.

Diese Darstellung mit wenigen Beispielen soll zeigen, dass und warum wir es auf keinen Fall als eine Aufgabe des Naturschutzes betrachten, die Natur in „zu erhaltende“ und „vernichtende“ Arten einzuteilen.

Hubert Sumser,  AK Botanik